Reitstunde Judith mit Don Camillo

Schon im Stall traf ich auf meine Freundin, die gerade wahrscheinlich auf den Weg zu Don Camillo war. "Hallo, Judith!", begrüßte ich sie und sie drehte sich nach mir um. "Ich komme mit! Er steht auf der hinteren Weide!" Ich war mittlerweile auf gleicher Höhe mit Judith und lächelte sie an.

"O man, ich hatte gehofft noch ein wenig Ruhe vor dir zu haben" grinste ich. "Ich will dich ja nicht mobben, aber ich habe Don schon gefunden, er ist bereits am Putzplatz angebunden. Ich finde nur irgendwie seine Putzbox nicht und laufe deshalb gerade ein wenig planlos durch die Gegend" fuhr ich fort, um Jessys Eifer etwas zu stoppen.

"Die findste nicht?!", fragte ich mit einer Augenbraue hochgezogen und schaute sie an. "Hast du schon in seinem Spind nachgeschaut?! Da sollte das rote Ding drinne sein! Oder es hat einer die Putzbox wieder falsch reingestellt." Ich schaute kurz an ihr vorbei, um eine der Reitschülerin zubeobachten, die gerade eins der Pferde reinbrachte und konzentrierte mich wieder auf Judith.

"Da steht die eben nicht", brummte ich. "Deshalb habe ich mal vor seiner Box nachgeschaut, da war aber auch nichts. Hat wohl jemand wirklich falsch einsortiert"

"Boha. Man bekommt mich nochmal früher ins Grab!", maulte ich und machte eine wartende Handbewegung zu Judith. "Geh schonmal zu Don, ich komme zu euch her... mit der Putzkiste!" Ich drehte mich um und verschwand die Stallgasse hinunter.

"Aye Aye" Ich schlenderte zu Don und kraulte meinem neuen Schützling ein wenig geistesabwesend die Stirn, während ich auf Jessy wartete, die sich etwas Zeit ließ.

Nach einigen Minuten bog ich um die Ecke und stellte ihr seine Putzkiste vor die Nase. "Bitte...", sagte ich und lächelte.

"Wo hast du die jetzt hergezaubert?", erkundigte ich mich grinsend und griff nach einem Striegel, um Dons Fell zu säubern.

"Futterkammer, neben dem Haferkasten...", antwortete ich sichtlich schlecht gelaunt, über diesen Chaoszustand, nachdem die kleinen Kidz da waren und tätschelte Don den Hals.

"Mach dir nichts draus" versuchte ich Jessy zu trösten und fuhr fort, Don zu putzen. "Willst du mir nicht mal was von ihm erzählen?", fragte ich dann und deutete auf das Pferdchen.

"Ja." Ich sah den Wallach an und sagte: "Der feine Herr ist ein 6-jähriger Holsteinerwallach, hat großes Spriungpotenzial, er ist lieb und schüchtern. Don lässt sich manchmal etwas bitten oder setzt seinen eigenen Kopf durch, wenn es sein muss... Und wenn du da weiter an seinen Flanken so putzt wird er gleich etwas grimmig, ich empfehle eine weichere Bürste... Tja. Und seine größte Schwäche ist die Kombination... Er hat noch nicht die Rutine, wie ein erfahrendes Pferd, aber dennoch scheint ihn etwas daran zu stören und ich will einfach nur wissen, was du davon hältst, denn mein Wissen ist bald erschöpft... Das erste Hindernis klappt meistens prima, aber das Zweite.... entweder er parkt, läuft vorbei oder reißt einfach..."

Nachdenklich musterte ich den Holsteiner. "Ist das nur in der Kombi so? Alos springt er einzelne Hindernisse ohne Probleme? Wie lange ist er schon hier auf dem Hof? Wie lange schon unterm Sattel? Weißt du irgendetwas über seine Vergangenheit, über den Vorbesitzer? Wie siehst mit dreifachen Kombis aus? Ich weiß ja nicht, ob er da schon getestet wurde, ist ja eigentlich erst Klasse L, aber wie ich dich kenne, hast du das schon probiert. Klappt da das dritte oder das zweite Hindernis nicht?" Man, das waren viele Fragen... Aber damit kam Jessy klar, sie kannte mich und meine Neugier ja mittlerweile..

"Ich hab festgestellt, dass es bei einzelnen Hindernissen klappt... Vielleicht ist er einfach noch nicht Rutiniert genug, um diese schnelle Abfolge zu verarbeiten... Er ist leider erst seit einem Jahr hier und ich hatte bis jetzt noch keine wirkliche Zeit mich näher mit ihm zu beschäftigen... Über seine Vergangenheit weiß ich leider nicht sehr viel, nur so viel, dass seine Vorbesitzerin ihn zu früh eingeritten hat, dann hat sie ein halbes Jahr gewartet und weiter eingeritten..." Ich schüttelte über diese Dummheit nur den Kopf und fuhr dann schleunigst fort, "Er wurde auch schon bei ihnen ans Springen gewöhnt... aber scheinbar klappte es nicht so... mit einer dreifachen haben wir es noch nicht probiert, Trab- sowie Galoppstangen machen ihm auch keine Probleme, nur wenn du sie einmal Höher und einmal Tiefer stellst... das zeichnet sich wunderbar im Galopp ab..."

Als ich die Beschreibung hörte, musste ich an Sir Nicklas denken. "Hört sich so an, wie die Probleme von Sir Nicklas" Ich sah Jessys verständnislosen Blick und beeilte mich, eine Erklärung hinterher zu schicken. "Sir Nicklas war eins meiner Berittpferde auf dem alten Hof. Ein Haflinger - Holsteiner Mix - merkwürdige Mischung, ich weiß - Schimmelwallach, war 8 Jahre als er zu mir kam. Er hatte das gleiche Problem wie Don, nur mit dem Wassergraben. Er war erst seit 3 Jahren unterm Sattel, wir gingen von mangelnder Routine aus. Aber es wurde nicht besser. Alles ging, nur der Wassergraben, da platsche er immer rein. Und irgendwann sind wir das Problem anders angegangen und von einem Trauma ausgegangen. Wir haben ihn Schritt für Schritt wieder an den Graben rangeführt und irgendwann ist der Knoten geplatzt. Er wurde dann verkauft, hat eine tolle Besitzerin gefunden und geht erfolgreichTurniere bis Klasse M. Erst 2 Jahre später haben wir rausgefunden, dass er wirklich ein Trauma hatte... Es waren genau die gleichen Anzeichen wir bei deinem Don hier..."

"Ja. Bloß hab ich leider keine anderen Anhaltepunkte... Und Routine kam mir als erstes in den Sinn, da er ja noch so jung ist...und ich schon einige Pferde hatte, dennen dies fehlte... aber wir schauen gleich, was du dazu sagst."

"Ich werde dir auf jeden Fall ne Meinung vor die Füße pfeffern" grinste ich und legte den Hufkratzer weg, mit dem ich mich beschäftigt hatte. "Hast du Lust zu satteln und zu trensen? Ich schaue lieber zu"

Ich lies einen kurzen Seufzer raus und nahm den Sattel von der Halterung. Ich zeigte Don den Sattel, sodass er ihn einmal sah und legte ihn mit der Satteldecke auf seinen Widerrist, schob ihn dann sanft auf seinen Rücken, solange bis ein leichter Stop kam. Danach zog ich sanft den Gurt an und griff nach der Trense. Zuerst legte ich die Zügel übern Hals und dann nahm ich ihm das Halfter ab. Dann hielt ich ihm das Gebiss hin und verschnalte den Rest der Trense. "Bitte."

"Och danke, du bist nett" Ich griff nach Dons Zügeln und folgte Jessy zur Halle. Dort gurtete ich sanft nach, verschnallte dann die Bügel und schwang mich mit Jessys Hilfe in form von Gegenhalten in den Sattel. Von dort oben gurtete ich erneut nach, sortierte dann die Zügel und sah Jessy anschließend an. "Was genau hast du jetzt vor?" Ich hielt es für höflicher, nachzufragen, schließlich war ich nicht mehr auf meinem alten Hof, wo ich tun und lassen konnte was ich wollte und mir selber ein Programm für ein Pferd ausdenken konnte.

"Was ich jetzt vor habe? Mein erster Schritt war es eine gute Reiterin mit viel Erfahrung auf ihn zu setzen. Das hab ich erledigt...", antwortete ich und holte Luft bevor ich weitersprach, "Zuerst sollst du ihn bitte Warmreiten und ihn kennen lernen. Dann reitest du ein paar Trabstangen und mal ein Cavaletti und dann sagst du mir, was du von ihm hälst und weiter machen willst."

Nachdenklich blickte ich einen Moment in die Ferne, riss mich dann zusammen und trieb Don zum Schritt an. Schon im Schritt versuchte ich einen schönen Takt zu finden und diese Gangart gleichmäßig rauszureiten, dabei sanft in der Hand zu bleiben und eindeutige aber minimale Hilfen zu geben. Ein bisschen Dressurföderung im Aufwärmprogramm schadete dem Springbegabtesten Pferd nichts. Also quälte ich Don mit Schlangenlinien, Handwechseln, Volten und einfachenen Bahnfiguren, ließ nicht zu, dass er Ecken abkürzte oder sonstige Spielchen machte, und gab mit der Hand nach, wenn er Ansätze des Streckens machte, so das wir am Ende der Schrittphase schon eine gute, wenn auch nicht perfekte Verbindung hatten und Don den Kopf schon ein bisschen gesenkt hatte. Im Trab ritt ich ihn dann vermehrt v/a, bis er wirklich durchs Genick ging. Erst dann wärmte ich ihn auch auf dem Zirkel im Galopp auf und warf dabei einen Blick in den Spiegel um sogleich - ganz die Perfektionistin in Person - meine Hand ein bisschen höher zu nehmen, mein Bein ein bisschen mehr zu strecken und Don etwas mehr nach innen zu stellen. Als auch der Galopp durch war, parierte ich wieder zum Trab durch und steuerte auf ein paar Trabstangen zu. Ein bisschen am Tempo korrigiert und schön motiviert und schon ging Don, wenn auch mit leichtem Zögern, über die bunten Stangen. Ich lobte ihn kurz, ritt eine Kehrvolte und ritt die Stangen erneut an, blieb dabei weniger deutlich mit den Hilfen und prompt stieß Don zwei Stangen an. Ich nickte leicht, fühlte mich in meinem ersten Eindruck sehr bestätigt und ritt die Trabstangen ein drittes Mal an, auch wieder ohne richtige Unterstützung und Don stieß sogar 3 der 5 Stangen an. Zufrieden mit meiner Einschätzung brachte ich noch ein viertes Mal mit Unterstützung drüber und war nicht überrascht, als er sauber drüber trabte und keinerlei Kontakt mit einer Stange hatte. Also ging es weiter im Text mit dem Cavaletti. Don konnte echt gut springen und hatte keinerlei Probleme. Ich übersprang das Cavaletti mehrmals mit verschienden Hilfengebungen, parierte dann zun Schritt durch und dachte eine Sekunde nach.
Anschließend lachte ich Jessy breit an "So sieht das aus, wenn ich ein Pferd teste... Mein erster Eindruck: Süßes Kerlchem, dem es eindeutig noch an Routine fehlt. Jedes routinierte Pferd würde auch ohne sehr viel Unterstützung fehlerfrei über die Stangen kommen, bei ihm zeichnet sich aber noch das typische Jungpferdeverhalten ab, dass er Unterstützung braucht und auch bei den Cavalettis schnell durcheinander kommt, wenn man ihm nicht den Absprung vorgibt. Doch er ist auch schon einen bisschen weiter als die typischen Jungpferde, zeigt schon ein Stück weit Routine und mit ein bisschen Übung und vor allem regelmäßigen Training legt sich das aber sicher schnell. Nur in unerfahrene Hände solltest du ihn bis dahin nicht geben, er braucht einen sicheren Reiter, der ihm auch die Routine vermitteln kann, aber das weißt du ja sicher selber. Versprich mir, ein Auge darauf zu haben, wer ihn reitet und traininert, dass wäre echt zu schade um ihn... Ok? So, wie ich weiter vorgehen will: Ein paar einzelen Sprünge springen und dann an die Kombi dran, ein oder zweimal die zweifache und auch einmal eine dreifache. Ich denke, ich werde recht schnell merken, ob es da auch Routine liegt, denn wenn man so viel mit Jungpferden zu tun hatte, weiß man, wie man sie auch ohne jede Routine über Kombis bringt. Klingt das gut für dich?" Ich gönnte mir eine Atempause, damit Jessy auch mal was sagen konnte.

"Okay. Die Sprünge gehören dir", erwiderte ich knapp und baute alles etwas niedriger. Dann drehte ich mich zu Judith um und nickte kurz.

"Schlechte Laune?", fragte ich kurz nach, mit den Gedanken schon halb bei den nächsten Sprüngen. Jessy gab keine Antwort, also beließ ich es dabei und steuerte ein paar Steils und auch den ein oder anderen Oxer an. Auch hier zeigte sich deutlich, dass Don Unterstützung brauchte, aber wenn er die hatte mit beeindruckender Manier sprang. Aus ihm würde sicher mal ein ganz Großer werden. Langsam ging es ans eingemachte, denn ich trieb Don auf eine Kombi aus zwei niedrigen Steils zu, also wirklich unterer Anforderungsbereich und auch für Jungpferde durchaus geeignet. Mit einem genügend hohen aber nicht zu hohen Grundtempo kamen wir in die Kombi, ich ging geschmeidig mit Dons Bewegung mit, nahm ihn nach der Landung kurz auf und trieb ihn die drei Galoppsprünge auf das nächste Hindernis konsequent durch, rahmte ihn mit meinen Schenkeln ein, um ein ausbrechen zu verhindern und gab Don bei jedem Galoppsprung deutlich zu verstehen, dass er nicht alleine war. Kurz vor dem Sprung wollte ich einen deutlichen Impuls mit Schenkel, Gerte und in den leichten Sitz gehen geben, doch dazu kam es gar nicht mehr. Don riss den Kopf hoch, wurde langsamer und legte dann eine Vollbremsung ein. Ich krallte mich reflexartig am Sattel fest, um nicht auf den Hals geschleudert zu werden. Don tänzelte, bis er sich um 45° gedreht hatte und floh dann aus der Kombi, es dauerte mehrere Runden, bis ich ihn wieder beruhigt hatte. Ich ließ das kommentarlos stehen, sprang wieder über ein paar einzelne Sprünge und steuerte dann eine dreifache aus Steils an. Don stand gut an den Hilfen und sprang sauber über das erste Hinderniss. Vor dem zweiten zögerte er merklich, fasste sich aber dann ein Herz und sprang etwas holperig drüber und auch das dritte Hindernis war eher ein kleines Problem. Zufrieden ließ ich den Hübschen ausgaloppieren, steuerte dann erneut die zweifache an. Wieder das gleiche Spiel: Erster Sprung war kein Thema, vorm zweiten parkte er mit einem Sliding Stopp und knallte zudem auch noch mit der Brust vor den Steil, was ihn noch mehr zum fliehen anstachelte. Als ich ihn endlich runter geschraubt und durchpariert hatte, sah ich Jessy an. "Was denkst du?" Ich wollte ihre Meinung hören, bevor ich meinen Senf dazu gab.

"Ich glaube er mag die Stangenfarbe nicht", sagte ich leicht sarkastisch und zuckte mit den Achseln. "Also er braucht noch Hilfe beim Sprung..." Ich schaute Don stirnrunzelnd an und schaut dann zu Judith. Heute war einfach nicht ganz mein Tag, was an Diagnosen festzustellen war.

"Mann, Jessy, denkst du, es macht mir Spaß, ein Pferd für dich zu testen, wenn du nur mit einem sauertöpischen Gesicht daneben stehst und - entschuldige - dumme Kommentare abgibst? Ich weiß nicht, was dir für eine Laus über die Leber gelaufen ist, aber du willst es mir offensichtlich ja auch nicht sagen. Weißt du was? Vergessen wir das Ganze. Reite ihn selber oder such dir ne andere Dumme, oder drück ihn mir einfach in die Hand und stell dich nicht daneben, wenn du eh keine Lust hast, mitzudenken" Ich war richtig sauer geworden, sprang einfach aus dem Sattel, stapfte mit Don zu Jessy und hielt ihr die Zügel hin. "Wenn du mich fragst, er hat ein Trauma. Aber ich wollte gerne noch eine zweite Meinung hören und wenn du nur so n Blödsinn von wegen Stangenfarbe erzählst und nicht mal auf das naheliegendeste achtest, nämlich dass er die dreifache schafft, und nur die zweifache nicht, obwohl die dreifache viel schwieriger ist, und das er aus der zweifachen auch fliehen wollte, dann vergiss es einfach. Ich habe keine Lust mehr" Ich hatte mich richtig schön in Range geredet und kochte innerlich vor Wut.

"Aber woher hat er dieses Trauma? Warum springt er eine Dreifache eher als eine Zweifache? Ich hatte noch nie so ein Pferd, was solch ein Trauma hatte! Ich bin mit meinem Ausbilder- und Trainerlatein am Ende! Wenn ich nicht so wäre, dann könnte ich es genauso, wie es die anderen Trainer, Ausbilder auch machen. Ihn drüber prügeln! Aber das will ich nicht. Ich bin mit meinem Latein am Ende, wie schon gesagt", gab ich zurück, aber recht ruhig und griff nach den Zügeln.